Eintritt des Abfallendes von Klärschlamm noch vor dem Einsatz in Verbrennungsanlage

In einer aktuellen Entscheidung hatte sich der Europäische Gerichtshof mit der Frage des Abfallendes von Klärschlamm, der thermisch verwertet wird, auseinander zu setzen. Bemerkenswerterweise hat der EuGH die Abfalleigenschaft zu einem früheren Zeitpunkt enden lassen, als dies nach dem österreichischen Abfallwirtschaftsgesetz der Fall ist.

Der EuGH hatte in seiner Entscheidung vom 14.10.2020, C-629/19, [1] zu beurteilen, ob Klärschlamm, welcher bei der gemeinsamen Reinigung von betrieblichen und kommunalen Abwässern entsteht und dann in einer Reststoffverbrennungsanlage zur Energiegewinnung (Dampferzeugung für die Papier- und Zellstoffproduktion) verbrannt wird, als Abfall zu qualifizieren ist. Die Frage stellte sich in einem vom Landesverwaltungsgericht Steiermark eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren, in dem es um Klärschlamm aus der Papier- und Zellstoffproduktion der Sappi ging, der mit 3% kommunalen Klärschlämmen vermengt und zur Industriedampf-Herstellung verbrannt wurde. Ist der Klärschlamm aus der von Sappi und dem Wasserverband gemeinsam betriebenen Kläranlage als „Abfall“ einzustufen, so fällt seine Verbrennung unter die für Abfälle geltenden Bestimmungen.

Zunächst hält der EuGH in seinem Urteil fest, dass dieser Klärschlamm nicht als „Abwasser“ gemäß Art 2 Abs 2 der Abfallrahmenrichtlinie (RL 2008/98) zu qualifizieren ist und daher nicht vom Abfallbegriff ausgenommen werden kann. Auch eine Qualifikation als Nebenprodukt gemäß Art 5 ist auszuschließen, da eine Vermengung mit auch nur geringen Teilen von kommunalen Abwässern zu einer Entledigungsabsicht und somit zu einer Abfallqualifikation des gesamten Klärschlammes führt.

Somit war zu prüfen, wann das Ende der Abfalleigenschaft gemäß Art 6 der Abfallrahmenrichtline eintritt. Zunächst hält der EuGH fest, dass dann, wenn die Verbrennung des Klärschlamms als „Verwertung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 15 der Richtlinie 2008/98 anzusehen wäre, zum Zeitpunkt der Verbrennung noch „Abfall“ vorläge. Der EuGH anerkennt jedoch, dass bei einer Änderung der Eigenschaften des Klärschlamms durch eine Behandlung, die dazu führt, dass dieser bereits alle Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 erfüllt (Verwendung für bestimmten Zweck; es besteht ein/e Markt/Nachfrage; Erfüllung von technischen und rechtlichen Anforderungen; Verwendung führt zu keinen schädlichen Umweltauswirkungen), die Abfalleigenschaft bereits vor der Verbrennung des Klärschlamms endet.

Der EuGH führt aus, dass dann, wenn der in einem geschlossenen Kreislauf verwendete Klärschlamm durch die Vorbehandlung dem nach der Richtlinie 2008/98 gebotenen hohen Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt gerecht wird, also insbesondere frei von jeglichen gefährlichen Stoffen und „unschädlich“ ist, nicht mehr als Abfall anzusehen ist. Die rechtliche Konsequenz ist in diesem Fall, dass die Verbrennungsanlage nicht als Abfallbehandlungsanlage anzusehen ist.

Für Österreich ist aber in diesem Zusammenhang die strengere nationale Regelung des Abfallrechts (§ 5 AWG 2002) zu beachten: Gemäß § 5 AWG 2002 tritt das Abfallende erst dann ein, wenn der Abfall ohne weiteren Behandlungsschritt tatsächlich zur Substitution von Rohstoffen eingesetzt wird. Nicht jede „Verwertung“ oder „Verwertungsmaßnahme“ führt zu einem Abfallende, sondern nur der letzte Verwertungsschritt. § 5 Abs. 1 AWG 2002 lautet:

§ 5.(1) Soweit eine Verordnung gemäß Abs. 2 oder eine Verordnung gemäß Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle nicht anderes bestimmt, gelten Altstoffe so lange als Abfälle, bis sie oder die aus ihnen gewonnenen Stoffe unmittelbar als Substitution von Rohstoffen oder von aus Primärrohstoffen erzeugten Produkten verwendet werden. Im Falle einer Vorbereitung zur Wiederverwendung im Sinne von § 2 Abs. 5 Z 6 ist das Ende der Abfalleigenschaft mit dem Abschluss dieses Verwertungsverfahrens erreicht.

Ein vorzeitiges Ende der Abfalleigenschaft von Klärschlamm könnte bei Beachtung von § 5 AWG 2002 demnach nur anhand einer maßgeblichen Abfallendeverordnung vor dem Zeitpunkt der thermischen Verwertung eintreten. Da bisher keine entsprechende Abfallendeverordnung für Klärschlamm existiert, ist die Entscheidung des LVwG Steiermark, das nun unter Beachtung dieser Vorabentscheidung des EuGH die endgültige Entscheidung trifft, mit Spannung zu erwarten. Wird es die strengere AWG-Vorschrift unangewendet lassen und nur auf Grundlage des EuGH-Judikats prüfen?

Der EuGH hat dem LVwG Steiermark Folgendes auf den Weg mitgegeben: Es ist Sache des vorlegenden Gerichts – gegebenenfalls auf der Grundlage einer wissenschaftlichen und technischen Analyse – zu prüfen, ob der Klärschlamm die gesetzlichen Grenzwerte für Schadstoffe einhält und ob seine Verbrennung insgesamt zu schädlichen Umwelt‑ oder Gesundheitsfolgen führt. Im Rahmen dieser Beurteilung sind insbesondere die Umstände von Bedeutung, dass die bei der Verbrennung des Klärschlamms erzeugte Wärme im Rahmen eines Verfahrens zur Herstellung von Papier und Zellstoff weiterverwendet wird und dass ein solches Verfahren einen erheblichen Vorteil für die Umwelt bietet, da verwertete Materialien zur Erhaltung der natürlichen Rohstoffquellen und zur Schaffung einer Recyclingwirtschaft verwendet werden.

Sollte das vorlegende Gericht auf der Grundlage dieser Prüfung feststellen, dass die Voraussetzungen von Art 6 Abs 1 der Richtlinie 2008/98 vor der Verbrennung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Klärschlamms erfüllt sind, wäre davon auszugehen, dass der Klärschlamm nicht als Abfall anzusehen ist. § 5 AWG wäre ausgehebelt und müsste wohl geändert werden.


[1] http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf;jsessionid=80CC046D624F78D94935FE23377BD61A?text=&docid=232405&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1602792