Systemversagen am Beispiel der Abfallwirtschaft in Griechenland

Obwohl es seit 1975 eine einheitliche Rechtsgrundlage für die Abfallwirtschaft in der Europäischen Gemeinschaft gibt (Abfallrahmenrichtlinie 75/442/EWG des Europäischen Rates vom 15. Juli 1975) und Griechenland seit 1981 Mitglied der damaligen EWG ist, scheinen diese Regelungen in Griechenland bis heute nicht angekommen zu sein. Wie kann das sein?

Vor zehn Jahren, im Jahr 2006, wurde ein Geschäftsführer eines niederösterreichischen Abfallwirtschaftsverbandes im Rahmen des EU Projekts RECORA (Renewable Energy Cooperation of Rural Areas) ersucht, nach Griechenland in die Region Attika zu reisen, um die Müllzusammensetzung zu analysieren und mit jener in anderen Ländern zu vergleichen.
Die griechische Projektbetreuerin schlug vor, auf den Inseln Kythira und Aegina sowie in der Kleinstadt Megara Proben zu ziehen und diese einer Sortieranalyse nach dem österreichischen Standard zu unterziehen.

In zwei Durchgängen wurden jeweils über drei Wochen Proben genommen und analysiert. Die Ergebnisse zeigten, dass der biogene Anteil in jedem untersuchten Gebiet jeweils an oder über 50% der Masse ausmachte.

Ein engagierter Gemeinderat auf Kithyra zeigte sich erfreut, dass endlich jemand aus dem Ausland kommt und den Verantwortlichen sagt, was falsch läuft. Die Müllablagerung erfolgte in einer ca. 15 km vom Hauptort der Insel entfernten Karstdoline, also in einer sehr wasserdurchlässigen Kalksteinformation. Der Bürgermeister war ganz stolz darauf, dass in letzter Zeit kaum mehr Plastikfetzen über die Insel geweht wurden, seit die Gemeindearbeiter die Müllschüttung täglich mit Erde abdeckten. Dass in nur 10 km Entfernung die Trinkwasserquelle für die ganze Insel lag, hat ihn dagegen nicht beunruhigt. Der österreichische Experte wies ihn auf die Gefahren für das Trinkwasser hin. Der Bürgermeister entgegnete, dass es keine Alternative zur bestehenden Ablagerung gibt, weil ein Abtransport der Abfälle per Schiff und die Ablagerung auf einer anderen Deponie viel zu teuer kommt und eine genehmigte Deponie überhaupt nicht existiert.

Ähnlich stellte sich die Situation in Megara dar, wo eine alte, offiziell schon geschlossene Ablagerung (als Deponie konnte man die unbefestigte Ablagerung der Abfälle im Kalkgestein nicht bezeichnen), illegal weiter betrieben wurde. Hier waren schwarze Sickerwässer aus dem Fuß der Ablagerung ausgetreten und es waren dort auch Abfälle einer nahegelegenen Hühnerfarm zu finden – tote Küken inklusive. Auch hier sagte der Bürgermeister, der Transport der Abfälle zur großen Deponie Fili bei Athen sei zu teuer und zu weit. (Anmerkung: die Entfernung beträgt rund 40 km.)

Im benachbarten Elefsina erzählte der Bürgermeister, ein früher in Deutschland tätiger Chemiker, der als Pensionist nach Griechenland zurückgekehrt war, dass die ca. 30 km entfernte Deponie Fili, die seit über 20 Jahren befüllt würde, über keine Abdichtung verfüge, sodass die Sickerwässer nun unter der Gemeinde Elefsina in den für den Badetourismus bedeutsamen Saronischen Golf sickerten.

Der österreichische Abfallwirtschaftsexperte fragte die griechische Beauftragte für das Projekt RECORA, warum keine einzige Gemeinde in der Region eine Kompostieranlage betreibt. Die Antwort: Dies hängt mit dem Vertrag zusammen, den die Gemeinden mit der Deponie Fili abgeschlossen haben. Will einer von den 120 Bürgermeistern von Athen und Umgebung (insgesamt ca. 4,5 Mio. Einwohner!) Müll an diese Deponie liefern, so muss sich die Gemeinde verpflichten, 10% der gesamten Gemeindeeinnahmen an die Betreibergesellschaft zu überweisen. Dafür kann er alle Arten von Abfällen in jeder Menge und Zusammensetzung anliefern und ablagern! Jede zusätzliche Aufwendung für eine getrennte Sammlung von Altstoffen oder fürs Recycling würde für eine Gemeinde daher nur zusätzliche Kosten bedeuten und werde deshalb nicht gemacht. Auf die Frage, wem die Betreibergesellschaft der Deponie Fili gehöre, kam die Antwort: einem Konsortium der reichsten Familienclans von Griechenland!

Das „Griechische System“

Der emeritierte griechische Professor für Makroökonomie am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Leipzig, Spiros Paraskewopoulos erklärt dieses System in seinem Blog:

„Die Skandale, die Korruption, die Unzulänglichkeiten und die Unzuverlässigkeit der griechischen Politiker sind nicht bloße Fußnoten der griechischen Tragödie und möglicherweise auch des Euro. Sie waren und sind Teil einer seit Jahrzenten gefestigten „griechischen politischen Kultur“ der Gesetzlosigkeit, des Betrugs und des korrupten Verhaltens der griechischen Politiker und ihres Klientel.
Diese „griechische politische Kultur“ führte dazu, dass die Vorteile Griechenlands aus seinem EU-Beitritt weitgehend vergeudet wurden und ermöglichte unverdient einer kleinen Minderheit nicht nur die Plünderung des Reichtums einer Nation, sondern gefährdete und gefährdet zugleich die gemeinsame Europäische Währung.
Die griechischen Politiker waren allerdings nicht allein schuld an der Entstehung der kurz beschriebenen korrupten „griechischen politischen Kultur“.
Mitverantwortlich dafür waren und sind auch Tausende andere Personen aus allen gesellschaftlichen Schichten Griechenlands. Zu nennen sind vor allem sowohl die griechische Oberschicht, die permanent ihre Einkommen – durch die teilweise erkaufte Duldung der Politiker – verschwiegen hat und noch verschweigt, als auch die vielen Tausende aus der Mittel- und Unterschicht, die dem Klientel System der Politiker angehören.
Dieses System von Klientel und Vetternwirtschaft brachte und bringt ihnen zwar bescheidene Entlohnungen, dafür aber dauerhafte bequeme und unproduktive Beschäftigungen im öffentlichen Dienst sowie großzügige Renten.
Es gab und es gibt also eine Art stillschweigende Verschwörung zwischen allen diesen Schichten, die sich staatliche Privilegien untereinander teilen.
Insofern ist Griechenland eine Volkswirtschaft mit relativ hohem BIP (208,5 Mrd. € 2011), aber mit niedrigen Steuern und niedriger Qualität der öffentlichen Dienstleistungen, die sich negativ auf die Produktivität der gesamten Volkswirtschaft auswirkten. Die daraus erwachsenen Probleme wurden durch die reichen Subventionen aus den EU- Strukturfonds und durch die relativ billigen ausländischen Kredite abgedeckt. Zugleich wurde die Fortführung dieser Politik zusätzlich erleichtert durch die erzwungene Flucht des intelligenten, aber frustrierten griechischen Humankapitals ins Ausland, welches nicht nur die Leistungsfähigkeit der griechischen Volkswirtschaft hätte erhöhen, sondern auch Widerstand gegen diese Politik hätte leisten können.“

Griechische Abfallwirtschaft heute

Ein knappes Jahrzehnt nach seinem ersten Besuch, im Jahr 2015, wurde derselbe österreichische Experte von der neuen Syriza-Regierung zu einer internationalen Abfallwirtschaftskonferenz der Region Attika eingeladen. Dort musste er feststellen: es hat sich nichts geändert, nur die Müllberge sind gewachsen. Und Griechenland und der Umwelt in Griechenland kann es erst dann besser gehen, wenn die institutionalisierte Korruption in diesem Land abgeschafft ist. Ein sichtbarer Indikator dafür ist die nach wie vor unverändert betriebene Mülldeponie in Fili.

 


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Der HCB-Skandal im Görtschitztal: Ursachen und Folgen

Weitere Strafanzeigen und die Ankündigung einer Millionen-Schadenersatzklage durch Betroffene der HCB-Kontaminationen haben in den letzten Monaten die Medien beschäftigt. Worum aber geht es eigentlich bei diesem Umweltskandal im Kärntner Görtschitztal, 40 km nordöstlich von Klagenfurt?

Wie kam es zu der Altlast in Brückl?

Diese Deponie-Altlast dürfte es eigentlich nicht geben, denn 1979 wurde der Donauchemie (aber auch erst nachträglich) mit Bescheid nur die Ablagerung von Kalk auf bestimmten Parzellen genehmigt.(1) Tatsächlich wurden aber im Bereich dieser Kalkablagerung auch andere Betriebsabfälle – offenbar widerrechtlich – entsorgt und so die wahrscheinlich gefährlichste Altlast Österreichs erzeugt(2). Wie gewaltig die Verseuchung des Bodens mit toxischen, chlorierten Kohlenwasserstoffen (CKW) wirklich ist, zeigt die Tatsache, dass innerhalb von etwa 5 Jahren nur durch Boden-Luft-Absaugung rund 18 t CKW aus dem Boden entfernt wurden. Der mit Hexachlorbenzol (HCB) und anderen CKW aber auch mit Schwermetallen wie Quecksilber (Hg), Arsen (As) und Blei (Pb) verseuchte Kalk sollte also im Zementwerk der Fa Wietersdorfer „nachhaltig verwertet“ werden.

So schön sollte die Altlast verschwinden

In der Donauchemie-Kundenzeitschrift 2/2011 wurde unter dem Motto „Verantwortung“ mit der Überschrift „Weg mit den Altlasten“ von einer Spatenstichfeier berichtet, bei der wichtige Personen aus Politik, Verwaltung und Industrie mit neuen, glänzenden Spaten, in die Kamera lächelnd, sinnlos in einem anscheinend extra dafür angelegten Haufen herumstochern. Vom Vorstandsvorsitzenden der Donauchemie, Geiger, wurde verkündet: „Nach der Sicherung der Altlast folgt nun, dank der neuen technischen Möglichkeiten für eine nachhaltige Verwertung, eine Räumung mit Wiederverwertung des Rohstoffes Kalk.“ In einem Pressegespräch erklärte Franz Geiger: „Die Sanierung wird insgesamt 40 Mio. Euro kosten, 15 Mio. davon steuert das Unternehmen bei [Anm.: das die Altlast verursacht hat], der Rest, 25 Mio., kommen aus dem Altlastensanierungsfonds.“ Den Zuschlag für die – laut Ausschreibung – „thermische Verwertung des Kalkschlammes“ erhielt das Wietersdorfer Zementwerk. Bei dessen Verwertungstätigkeit handelt es sich aus technischer Sicht allerdings um eine thermische Behandlung in Verbindung mit stofflicher Verwertung bei der Zementklinkerproduktion.(3)

So schön und einfach geht es aber nicht

Hätte man nur „HCB“ gegoogelt, wäre man schon damals auf eine 150 Seiten lange Publikation „Stoffbericht Hexachlorbenzol (HCB)“ des Ministeriums für Umwelt von Baden-Württemberg aus dem Jahr 1995 gestoßen(4). Es werden darin u.a. alle physikalischen Daten, vor allem die hohe Wasserdampfflüchtigkeit und Temperaturbeständigkeit erwähnt: „Demnach ist HCB bei Temperaturen um 800oC selbst bei langen Verweilzeiten nur schwer zerstörbar.“

Diese HCB-Eigenschaften hätten zweifellos zu einer anderen Entsorgung als in einem Zementwerk führen müssen, vor allem nicht im Mahltrockner, wo die Wasserdampfflüchtigkeit geradezu ausgenützt wird, um HCB unzerstört an die Umwelt abzugeben.

Aber auch wegen seiner Gehalte an As, Pb und Hg – dieser liegt sogar im Mittelwert etwa um den Faktor 100 über dem Richtwert des Schweizer Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) für Rohmehlersatz in Zementwerken – hätte der Blaukalk nicht als Rohmaterial für die Zementherstellung verwendet werden dürfen.

Detaillierte Angaben über den Schadstoffgehalt der Deponie-Altlast wurden vom Umweltbundesamt im Bericht „Altlast K 20 Kalkdeponie Brückl I/II“ schon im November 2003 publiziert.(5)

Ein weiterer „wissenschaftlicher Beitrag“ zur HCB-Katastrophe

ist ein Bericht über Emissionsmessungen an einem anderen Zementwerk, die während der versuchsweisen „Verwertung“ von kontaminiertem Blaukalk von Univ.-Prof. Dr. F. Wurst im Auftrag der Kärntner Landesregierung durchgeführt und veröffentlicht wurden:

„Bericht über die Verfahrenstechnische Möglichkeit einer Entsorgung des CKW-hältigen, auf der Kalkdeponie I und II (Brückl) deponierten Kalkschlamms im Zementdrehrohrofen“ 

(Wien, am 31. März 2006)

In diesem Bericht wird der Kärntner Landesregierung und damit auch dem Wie­tersdorfer Zementwerk bestätigt, dass während der 13 durchgeführten Emissi­onsmessungen alle CKW-Werte (Trichlorethen, Tetrachlorethen, Tetrachlor­ethan, Hexachlorethan, Hexachlorbutadien) und schließlich auch Hexachlorbenzol (HCB) im Rauchgas nicht nachweisbar („n.n.“) wären und dass die Emissionen von PolyChlorierten DibenzoDioxinen und -furanen (PCDD/F) mit 0,0211 bis 0,0229 ngTE/Nm3 [10%O2] unter dem Grenzwert für die Abfallverbrennung lägen.

Prof. Wurst hat aber in diesem Bericht eine Messmethode verwendet, die offensichtlich um mehr als den Faktor 1000 weniger genau ist als der Stand der Technik für HCB-Messungen. Mit Sicherheit waren diese Messungen für die Betreiber der „Blaukalkverwertung“ sehr günstig, für die Umwelt und die Bevölkerung aber katastrophal.

In einem späteren Bericht über kurzzeitige Emissionsmessungen im Auftrag der Wietersdorfer Zementwerke vom 6. November 2014 – der HCB-Skandal war damals schon virulent – hat Prof. F. Wurst hingegen (anstatt „n.n.“) 3,72 μg/Nm3 [10% O2] HCB gefunden, wenn der kontaminierte Kalk über den Calcinator, und 8,08 μg/Nm3 [10% O2], wenn er über die Rohmühle aufgegeben wurde.

Aber auch in diesem Messbericht fehlt eine entscheidende Angabe: Wie viel vom HCB, das in das Zementwerk zur Vernichtung aufgegeben wurde, ist unzerstört wieder an die Umwelt abgegeben (oder sogar zusätzlich neu gebildet oder von anderen eingesetzten Abfällen freigesetzt) worden?

Neben der Vergiftung der Umwelt durch die „Kalkverwertung“ wird immer wieder davon gesprochen, dass Landwirte mit sauren, kalkarmen Böden, direkt von der Deponie Blaukalk abholen durften, um damit ihre Böden zu „verbessern“. Vielleicht ist auch dies ein Grund dafür, dass mancherorts so unterschiedliche Belastungen gefunden wurden.

Und die Folgen

HCB besitzt zwar eine relativ niedrige akute Toxizität. Das konnte aus einer Vergiftung von 3000 bis 4000 Menschen im Osten der Türkei, die mit HCB gebeiztes Saatgut vermahlen und als Brot verzehrt und dadurch etwa 200 mg/Tag aufgenommen haben, abgeleitet werden, jedoch wurden Langzeitfolgen festgestellt. Die Bauern im Görtschitztal durften infolge des HCB-Skandals ihre tierischen Produkte, Feld- und Gartenfrüchte weder essen noch vermarkten, ja sogar das Heu für ihre Tiere musste vernichtet werden.

Das Vertrauen in die Umweltschutzkompetenz der Bundes- und Landesbehörden und in die Umweltschutzmaßnahmen der Betriebe ist erschüttert, wenn auch viele Nebenerwerbsbauern hoffen, dass ihre Arbeitgeber in der Industrie die wirtschaftliche Katastrophe dieser „Altlastensanierung“ ohne großen Schaden überstehen werden.

 


 

(1) Bericht der Funk-Kommission, Seite 11: „Dem Unternehmen war im Jahr 1979 auf bestimmten Parzellen (nachträglich) eine Kalkhalde bewilligt worden. Tatsächlich wurde festgestellt, dass das Areal (auch) als allgemeine Abfalldeponie betrieben wurde.“ Dass für diese anderen Abfälle eine Bewilligung vorhanden gewesen wäre, ist dem Bericht nirgends zu entnehmen. (http://www.ktn.gv.at/308442_DE-HCB-Bericht_Funk-Kommission)

(2) Bericht der Funk-Kommission, Seite 14 unter Verweis auf die von BMLFUW, UBA und Kommunalkredit Public Consulting GmbH im Jahr 2007 herausgegebene Publikation „Altlastensanierung in Österreich“.

(3) Die Funk-Kommission fasst die durch behördliche Genehmigung der Verwertung entstandene Situation pointiert so zusammen: „Insgesamt ist die gegenständliche Anlage durch die beiden Kenntnisnahmebescheide zu einer – nichtjuristisch formuliert – Sonderabfallbehandlungsanlage geworden, in der auch Klinker produziert wird“ (Bericht der Funk-Kommission; Seite 33 – sehr aufschlussreich zu lesen !)

(4) http://www.fachdokumente.lubw.baden-wuerttem­berg.de/servlet/is/10062/?COMMAND=DisplayBericht&FIS=161&OBJECT=10062&MODE=METADATA&highlight=HCB

(5) http://www.umweltbundesamt.at/umweltschutz/altlasten/altlasteninfo/altlasten3/kaernten1/k20/

 

Interkommunale Zusammenarbeit – eine Alternative zur Ausschreibung

Die neue EU-Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe wird Ausnahmen von der Verpflichtung zur öffentlichen Ausschreibung vorsehen, wenn es sich um bestimmte Aufträge zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors handelt. Die neue Vergaberichtlinie ist zwar erst bis 18. April 2016 von den Mitgliedstaaten umzusetzen, doch ein Erkenntnis des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs (VwGH 2013/04/0020) kann schon jetzt Erleichterungen bei der Zusammenarbeit zwischen Gemeinden bringen. In dem dort entschiedenen Fall der Entsorgung der Siedlungsabfälle einer NÖ Gemeinde in Anlagen der Stadt Wien musste der oft mühsame Weg der öffentlichen Ausschreibung nicht beschritten werden.

Auch wenn abzuwarten ist, wie die neue Vergaberichtlinie (2014/24/EU) in Österreich umgesetzt werden wird, so hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom 14. Juni 2014, 2013/04/0020, doch deutlich festgehalten, dass eine Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften vom Anwendungsbereich des Vergaberechts der Europäischen Union schon bisher – unter bestimmten Voraussetzungen – nicht erfasst ist. Der österreichische Rechtsbegriff des „öffentlichen Auftragswesens“ ist im Sinne des Unionsrechts auszulegen.

Der VwGH hat den Begriff der „Zusammenarbeit“ im zitierten Erkenntnis dahin verstanden, dass ein Leistungsaustausch zwischen Gemeinden im Bereich der Abfallbehandlung auch gegen Entgelt zulässig sein kann. Ein namhafter privater Entsorgungskonzern hatte beim NÖ Vergabesenat eine Vereinbarung zwischen der Stadt Wien und der Stadt Klosterneuburg erfolgreich beeinsprucht, dass die Stadt Klosterneuburg ihren Siedlungsabfall von der Stadt Wien in ihren Müllverbrennungsanlagen behandeln lässt. Gegen die Aufhebung dieser Vereinbarung durch den NÖ Vergabesenat haben die Städte Wien und Klosterneuburg beim Verwaltungsgerichthof Beschwerde erhoben und Recht bekommen.

Obwohl sich der VwGH zum Thema der „Entgeltlichkeit“ einer Zusammenarbeit zwischen Kommunen nicht äußerte und sowohl die „Leitentscheidung“ des EuGH zu dieser Frage (EuGH, Rs C−480/06, Stadtreinigung Hamburg) und auch die zitierte VwGH−Entscheidung Dienstleistungen im Zusammenhang mit Abfallbeseitigung zum Gegenstand hatten, sodass u.a. noch offen ist, was Gegenstand einer zulässigen Kooperation sein kann, so ist doch festzuhalten, dass es für Kommunen tatsächlich einen dritten Weg zwischen „selber erbringen“ oder „an Private ausschreiben“ gibt, nämlich mit einer anderen Kommune zusammenzuarbeiten.

Die Voraussetzungen für eine solche interkommunale Zusammenarbeit werden im Art. 12 der künftigen Vergaberichtlinie näher beschrieben. Während die Absätze 1 – 3 die „In-House-Vergabe“ erläutern, regelt Absatz 4 die interkommunale Zusammenarbeit:

  • Der Vertrag muss sich auf eine Zusammenarbeit zwischen ausschließlichen öffentlichen Auftraggebern zur Erreichung gemeinsamer Ziele beziehen
  • Die Durchführung der Zusammenarbeit muss ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt sein
  • Die beteiligten öffentlichen Auftraggeber dürfen auf dem offenen Markt maximal 20 Prozent der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten erbringen
  • Außerdem darf (im Sinne der EuGH-Rechtsprechung) die interkommunale Kooperation zu keinem Wettbewerbsvorteil eines privaten Dienstleisters führen (vgl. EuGH, Rs C−368/11, Piepenbrock, Rz 14 und 40).

Die öffentlichen Stellen, die zusammenarbeiten wollen, müssen eine transparente gemeinsame Organisation der Aufgabe sicherstellen (gemeinsamer Lenkungsausschuss, gemeinsames Controlling). Öffentliches Interesse für beide oder mehrere Kommunen können alleine schon Überlegungen zur Steigerung der Effizienz durch Zusammenlegung von Dienstleistungsumfang und damit Ausnutzen von Skalenerträgen sein.

Vertreter der privaten Entsorgungswirtschaft wenden gegen das Erkenntnis des VwGH und die Ermöglichung dieser Ausnahme von der Ausschreibungspflicht durch das europäische Unionsrecht ein, dass „ganz (West)Europa in Richtung Wettbewerb öffentlicher Dienstleistungen denkt, Zentral- und Osteuropa (inklusive Österreich) beharren dagegen am Monopol öffentlicher Dienstleistungen bei der Daseinsvorsorge.“

Die Argumentation des Erkenntnisses des VwGH und die Notwendigkeit der Umsetzung des Art. 12 der RL 2013/04/0020 hat grundlegende Auswirkung auf alle Kommunen.
Die Verantwortlichen der öffentlichen Dienstleister werden dadurch darin unterstützt, dass nur die tatsächlichen Kosten an die Haushalte vorgeschrieben werden und nicht Wettbewerb mit Gewinnerzielungsabsicht im Interesse von Shareholdern auf den Schultern der kleinen Gebührenzahler ausgetragen wird, was tendenziell zu einer Minderung der Dienstleistungsqualität führt.
Wie weit sich die Möglichkeit nur auf Abfallbehandlungsdienstleistungen oder auch auf alle anderen öffentlichen Dienstleistungen bezieht, wird sich bei der Umsetzung der Vergaberichtlinie in österreichisches Vergaberecht zeigen.

 

Quellen: