Der HCB-Skandal im Görtschitztal: Ursachen und Folgen

Weitere Strafanzeigen und die Ankündigung einer Millionen-Schadenersatzklage durch Betroffene der HCB-Kontaminationen haben in den letzten Monaten die Medien beschäftigt. Worum aber geht es eigentlich bei diesem Umweltskandal im Kärntner Görtschitztal, 40 km nordöstlich von Klagenfurt?

Wie kam es zu der Altlast in Brückl?

Diese Deponie-Altlast dürfte es eigentlich nicht geben, denn 1979 wurde der Donauchemie (aber auch erst nachträglich) mit Bescheid nur die Ablagerung von Kalk auf bestimmten Parzellen genehmigt.(1) Tatsächlich wurden aber im Bereich dieser Kalkablagerung auch andere Betriebsabfälle – offenbar widerrechtlich – entsorgt und so die wahrscheinlich gefährlichste Altlast Österreichs erzeugt(2). Wie gewaltig die Verseuchung des Bodens mit toxischen, chlorierten Kohlenwasserstoffen (CKW) wirklich ist, zeigt die Tatsache, dass innerhalb von etwa 5 Jahren nur durch Boden-Luft-Absaugung rund 18 t CKW aus dem Boden entfernt wurden. Der mit Hexachlorbenzol (HCB) und anderen CKW aber auch mit Schwermetallen wie Quecksilber (Hg), Arsen (As) und Blei (Pb) verseuchte Kalk sollte also im Zementwerk der Fa Wietersdorfer „nachhaltig verwertet“ werden.

So schön sollte die Altlast verschwinden

In der Donauchemie-Kundenzeitschrift 2/2011 wurde unter dem Motto „Verantwortung“ mit der Überschrift „Weg mit den Altlasten“ von einer Spatenstichfeier berichtet, bei der wichtige Personen aus Politik, Verwaltung und Industrie mit neuen, glänzenden Spaten, in die Kamera lächelnd, sinnlos in einem anscheinend extra dafür angelegten Haufen herumstochern. Vom Vorstandsvorsitzenden der Donauchemie, Geiger, wurde verkündet: „Nach der Sicherung der Altlast folgt nun, dank der neuen technischen Möglichkeiten für eine nachhaltige Verwertung, eine Räumung mit Wiederverwertung des Rohstoffes Kalk.“ In einem Pressegespräch erklärte Franz Geiger: „Die Sanierung wird insgesamt 40 Mio. Euro kosten, 15 Mio. davon steuert das Unternehmen bei [Anm.: das die Altlast verursacht hat], der Rest, 25 Mio., kommen aus dem Altlastensanierungsfonds.“ Den Zuschlag für die – laut Ausschreibung – „thermische Verwertung des Kalkschlammes“ erhielt das Wietersdorfer Zementwerk. Bei dessen Verwertungstätigkeit handelt es sich aus technischer Sicht allerdings um eine thermische Behandlung in Verbindung mit stofflicher Verwertung bei der Zementklinkerproduktion.(3)

So schön und einfach geht es aber nicht

Hätte man nur „HCB“ gegoogelt, wäre man schon damals auf eine 150 Seiten lange Publikation „Stoffbericht Hexachlorbenzol (HCB)“ des Ministeriums für Umwelt von Baden-Württemberg aus dem Jahr 1995 gestoßen(4). Es werden darin u.a. alle physikalischen Daten, vor allem die hohe Wasserdampfflüchtigkeit und Temperaturbeständigkeit erwähnt: „Demnach ist HCB bei Temperaturen um 800oC selbst bei langen Verweilzeiten nur schwer zerstörbar.“

Diese HCB-Eigenschaften hätten zweifellos zu einer anderen Entsorgung als in einem Zementwerk führen müssen, vor allem nicht im Mahltrockner, wo die Wasserdampfflüchtigkeit geradezu ausgenützt wird, um HCB unzerstört an die Umwelt abzugeben.

Aber auch wegen seiner Gehalte an As, Pb und Hg – dieser liegt sogar im Mittelwert etwa um den Faktor 100 über dem Richtwert des Schweizer Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) für Rohmehlersatz in Zementwerken – hätte der Blaukalk nicht als Rohmaterial für die Zementherstellung verwendet werden dürfen.

Detaillierte Angaben über den Schadstoffgehalt der Deponie-Altlast wurden vom Umweltbundesamt im Bericht „Altlast K 20 Kalkdeponie Brückl I/II“ schon im November 2003 publiziert.(5)

Ein weiterer „wissenschaftlicher Beitrag“ zur HCB-Katastrophe

ist ein Bericht über Emissionsmessungen an einem anderen Zementwerk, die während der versuchsweisen „Verwertung“ von kontaminiertem Blaukalk von Univ.-Prof. Dr. F. Wurst im Auftrag der Kärntner Landesregierung durchgeführt und veröffentlicht wurden:

„Bericht über die Verfahrenstechnische Möglichkeit einer Entsorgung des CKW-hältigen, auf der Kalkdeponie I und II (Brückl) deponierten Kalkschlamms im Zementdrehrohrofen“ 

(Wien, am 31. März 2006)

In diesem Bericht wird der Kärntner Landesregierung und damit auch dem Wie­tersdorfer Zementwerk bestätigt, dass während der 13 durchgeführten Emissi­onsmessungen alle CKW-Werte (Trichlorethen, Tetrachlorethen, Tetrachlor­ethan, Hexachlorethan, Hexachlorbutadien) und schließlich auch Hexachlorbenzol (HCB) im Rauchgas nicht nachweisbar („n.n.“) wären und dass die Emissionen von PolyChlorierten DibenzoDioxinen und -furanen (PCDD/F) mit 0,0211 bis 0,0229 ngTE/Nm3 [10%O2] unter dem Grenzwert für die Abfallverbrennung lägen.

Prof. Wurst hat aber in diesem Bericht eine Messmethode verwendet, die offensichtlich um mehr als den Faktor 1000 weniger genau ist als der Stand der Technik für HCB-Messungen. Mit Sicherheit waren diese Messungen für die Betreiber der „Blaukalkverwertung“ sehr günstig, für die Umwelt und die Bevölkerung aber katastrophal.

In einem späteren Bericht über kurzzeitige Emissionsmessungen im Auftrag der Wietersdorfer Zementwerke vom 6. November 2014 – der HCB-Skandal war damals schon virulent – hat Prof. F. Wurst hingegen (anstatt „n.n.“) 3,72 μg/Nm3 [10% O2] HCB gefunden, wenn der kontaminierte Kalk über den Calcinator, und 8,08 μg/Nm3 [10% O2], wenn er über die Rohmühle aufgegeben wurde.

Aber auch in diesem Messbericht fehlt eine entscheidende Angabe: Wie viel vom HCB, das in das Zementwerk zur Vernichtung aufgegeben wurde, ist unzerstört wieder an die Umwelt abgegeben (oder sogar zusätzlich neu gebildet oder von anderen eingesetzten Abfällen freigesetzt) worden?

Neben der Vergiftung der Umwelt durch die „Kalkverwertung“ wird immer wieder davon gesprochen, dass Landwirte mit sauren, kalkarmen Böden, direkt von der Deponie Blaukalk abholen durften, um damit ihre Böden zu „verbessern“. Vielleicht ist auch dies ein Grund dafür, dass mancherorts so unterschiedliche Belastungen gefunden wurden.

Und die Folgen

HCB besitzt zwar eine relativ niedrige akute Toxizität. Das konnte aus einer Vergiftung von 3000 bis 4000 Menschen im Osten der Türkei, die mit HCB gebeiztes Saatgut vermahlen und als Brot verzehrt und dadurch etwa 200 mg/Tag aufgenommen haben, abgeleitet werden, jedoch wurden Langzeitfolgen festgestellt. Die Bauern im Görtschitztal durften infolge des HCB-Skandals ihre tierischen Produkte, Feld- und Gartenfrüchte weder essen noch vermarkten, ja sogar das Heu für ihre Tiere musste vernichtet werden.

Das Vertrauen in die Umweltschutzkompetenz der Bundes- und Landesbehörden und in die Umweltschutzmaßnahmen der Betriebe ist erschüttert, wenn auch viele Nebenerwerbsbauern hoffen, dass ihre Arbeitgeber in der Industrie die wirtschaftliche Katastrophe dieser „Altlastensanierung“ ohne großen Schaden überstehen werden.

 


 

(1) Bericht der Funk-Kommission, Seite 11: „Dem Unternehmen war im Jahr 1979 auf bestimmten Parzellen (nachträglich) eine Kalkhalde bewilligt worden. Tatsächlich wurde festgestellt, dass das Areal (auch) als allgemeine Abfalldeponie betrieben wurde.“ Dass für diese anderen Abfälle eine Bewilligung vorhanden gewesen wäre, ist dem Bericht nirgends zu entnehmen. (http://www.ktn.gv.at/308442_DE-HCB-Bericht_Funk-Kommission)

(2) Bericht der Funk-Kommission, Seite 14 unter Verweis auf die von BMLFUW, UBA und Kommunalkredit Public Consulting GmbH im Jahr 2007 herausgegebene Publikation „Altlastensanierung in Österreich“.

(3) Die Funk-Kommission fasst die durch behördliche Genehmigung der Verwertung entstandene Situation pointiert so zusammen: „Insgesamt ist die gegenständliche Anlage durch die beiden Kenntnisnahmebescheide zu einer – nichtjuristisch formuliert – Sonderabfallbehandlungsanlage geworden, in der auch Klinker produziert wird“ (Bericht der Funk-Kommission; Seite 33 – sehr aufschlussreich zu lesen !)

(4) http://www.fachdokumente.lubw.baden-wuerttem­berg.de/servlet/is/10062/?COMMAND=DisplayBericht&FIS=161&OBJECT=10062&MODE=METADATA&highlight=HCB

(5) http://www.umweltbundesamt.at/umweltschutz/altlasten/altlasteninfo/altlasten3/kaernten1/k20/